Eine Naturbetrachtung zur Empfindungsentwicklung in zwei Teilen

von Ursula Klane, 12/2015, Photos Bernd Klane, Ursula Klane, Frieder Bauer

In unserem Alltag mit seinen unterschiedlichen Anforderungen ist es hilfreich, regelmäßig Besinnungspausen einzulegen, und sich zu manchen Eindrücken oder Ereignissen des Tagesein tiefer gehendes Wahrnehmen zu bilden. Zu schnell gleiten viele Eindrücke des Tages anuns vorüber. Eine Wahrnehmung zum Gegenüber lässt das Empfinden zunehmen. Auf längere Zeitgesehen erlebt sich der einzelne insgesamt ruhiger und zentrierter, und auch verbundener mit seiner Umgebung. Der Mensch erfährt eine Kräftigung in seinem Inneren. Einneuerliches, kreatives Nach-Außen-Gehen wird leichter möglich.

 

Das emotionale oder intellektuelle Erleben im Gegensatz zum empfindsamen Erleben

Eine Empfindung unterscheidet sich grundsätzlich von einem mehr enthusiastischen Gefühl,von einer Emotion oder einer Denkweise, die nur äußerlich wahrnehmbare Gegebenheitenberücksichtigt. Mit dem Empfinden erlebt der Mensch mehr die Eigenart des Gegenübers,z.B. einer Naturerscheinung. Somit drückt eine Empfindung eine Eigenschaft oder Eigenheit aus, die uns sonst vielleicht verborgen bliebe.Dieser Artikel will eine Möglichkeit aufzeigen, wie wir den Alltag mit kleinen Übungendahingehend erweitern können. Der Schnee wurde aus der Jahreszeit heraus gewählt.Zunächst können wir an das Thema ‚Schnee‘ mit physikalischen Betrachtungen herangehen,indem wir uns seine vielseitige und interessante Bildung kurz vergegenwärtigen. Schnee entsteht in einer Wolke, wenn die Temperatur dort tief genug ist. Das unterkühlte Wasser legt sich an sog. Kondensationskerne, z.B. Staubpartikel, an. Das Eigengewicht lässt den anwachsenden Kristall langsam absinken. Auf seiner Reise zum Boden wächst er weiterdurch den unterschiedlichen Dampfdruck zwischen Eis und unterkühltem Wasser zu einemsechseckigen Kristall heran. Aufgrund witterungsbedingter Gegebenheiten wie z.B.Temperatur, Luftfeuchtigkeit oder Thermik ergeben sich unterschiedliche Möglichkeiten, inwelcher Form der Schneekristall an der Erdoberfläche ankommt. Diese aus der Naturwissenschaft kommenden Eindrücke bilden eine wichtige Grundlage, dienachfolgend noch ergänzt bzw. erweitert wird.Vielleicht werden wir als weitere Möglichkeit, wenn wir ‚Schnee‘ hören, unterschiedlicheGefühle erleben, z.B. jenes, dass wir froh sind, wenn kein Schnee fällt, wenn wir täglich als Pendler unterwegs sind, oder weil wir die warme Jahreszeit mehr schätzen. Oder aber wirfreuen uns über reichlich Schneefall, wenn eine winterliche Reise vor uns liegt. Auch solche Eindrücke sollen nicht in Vergessenheit geraten, sondern wir lassen sie momentan einmal beiseite.

Nun wollen wir einen Gedanken zum Schnee kennen lernen, der der Erscheinung des Schnees, wie eingangs erwähnt, mehr in der Tiefe nahe kommt. Dafür betrachten wir einen Gedanken aus einem geisteswissenschaftlichen Zusammenhang: Heinz Grill, ein ganzheitlicher Forscher der Gegenwart, hat über den Schnee geschrieben, dass er ein Sinnbild für die Wärme ist (Quelle: H.Grill: Der Archai und der Weg in die Berge –Eine spirituell praktische Anleitung in der Ergründung der Wesensnatur des Berge
Lammers-Koll-Verlag 2. Auflage 2002). Am Ende dieses Artikels (S.7) befindet sich das Originalzitat.

Zunächst kann uns der Gedanke, dass der Schnee ein Sinnbild für die Wärme ist, ungewöhnlich anmuten. Schneefall fällt in der Regel mit der kalten, licht- und wärmearmen Jahreszeit zusammen. Greifen wir in den Schnee, fühlt er sich kalt an. Je nach Temperatur kommen die Flocken mehr trocken-kalt und leicht oder mehr nass-kalt und schwer von den Wolken herab.
Die Verdichtung von Schnee führt unter anhaltend frostigen Klimabedingungen zur Bildung von Eis, das wir als Gletscher vor allem im Hochgebirge oder zu den Polen hin antreffen.
Im Folgenden wollen wir den Schnee noch intensiver wahrnehmen, indem wir uns detaillierte
Vorstellungen zum Schnee und naturgegebenen Zusammenhängen bilden. Das ist der erste Teil dieser Übung.

1. Teil der Übung:  Vorstellungen und Überlegungen zum Schnee

Der Winter mit einmal klaren, kalten und dann wieder niederschlagsreichen Tagen ist im Jahreslauf in Nord- und Mitteleuropa für den Menschen und die Natur eher eine Zeit der Ruhe und Introversion. Die Sonne und die Wärme haben sich zurückgezogen. Damit entsteht auch eine gewisse Einschränkung für den Menschen. Draußen zu sein, sich im Freien aufzuhalten erfordert z.B. mehr Planung. Eine gewisse Leichtigkeit und Unbeschwertheit der warmen Monate des Jahres sind vorbei.
Mit den kalten, kurzen Wintertagen entsteht aber auch eine Zeit der Ruhe. Diese Ruhe entsteht vor allem in den Wochen über den Jahreswechsel, wenn manche Verpflichtungen des Alltags ruhen. Aber nicht nur dann, sondern überhaupt bringen Wintertage von der Tendenz her mehr Rückzug, aber auch mehr Beschaulichkeit oder gar Besinnlichkeit mit sich.
Die Natur ruht im Winter ebenfalls. Der Saftstrom in den Pflanzen ist mit der sinkenden Sonne im Herbst immer weiter zurückgegangen. Zahlreiche Tiere halten Winterruhe oder Winterschlaf, und die Samen des Herbstes warten auf dem Boden oder in der Erde auf ein Keimen im Frühjahr. So manche Samen benötigen dafür den winterlichen Frost.
Die Winterruhe wird in unseren Breiten durch eine alles einhüllende Schneedecke noch verstärkt.

Fällt Schnee bei leichten Minusgraden, ist er relativ trocken und die einzelnen Kristalle legen sich federleicht aneinander.
Über die Zeit entstehen unzählige Zwischenräume, die mit Luft gefüllt sind.Die Luftkammern sorgen dafür, dass die anwachsende Schneedecke wie eine Isolation wirkt.
So ist ein tief verschneiter Boden vor Auskühlung geschützt, zumal auch der Wind nicht unmittelbar angreifen kann.
Je mächtiger die Schneedecke ist, umso mehr dämpft sie das Tageslicht herab. Die vergleichsweise stärkere Dämmerung in der Tiefe der Schneedecke oder gar im Boden begünstigt die Winterruhe zusätzlich.

 

Höhere Temperaturen in wenigen Metern Bodentiefe sorgen dafür, dass Schnee an der Bodenoberfläche, unter der Schneedecke, schmilzt. Das entstehende Wasser versickert und hält auf diese Art den winterlichen Boden feucht.

 

 

 

 

 

Der Schnee legt sich um die Pflanzen, kleidet sie ein und schützt sie wie den Boden vor Kälte, Wind und Trockenheit.
Beeren, die noch an den Zweigen hängen, sind aufgrund ihrer leuchtenden Farben oft das Erste, was z.B. Vögel von weitem entdecken (rechts). Viele Insekten haben sich vor dem Frost unter Baumrinden oder in Astlöchern verkrochen. Ihnen ist der Schnee ein willkommener Schutz, um die Kälte zu überstehen.
Auch an Bäumen und Sträuchern sind Zweige, Triebe, Nadeln oder Knospen durch den Schnee geschützt.

 

 

 

 

Große Schneemengen führen dazu, dass die Äste der Fichten immer weiter Richtung Boden gedrückt werden. Damit geht einher, dass sich die Baumkrone nach innen wie verschließt, was so manchem Baumbewohner zugute kommt.
Wild wie beispielsweise Hasen suchen Schutz im Schnee. Dafür lassen sie sich für kurze Zeit richtiggehend einschneien, bis sie der Hunger wieder weiter treibt.

 

 

 

 

Der Schnee bietet einerseits Schutz, andererseits ist das Vorankommen beschwerlich, zumal Kälte und wenig Nahrung den Tieren zu schaffen machen.
(rechts: junger Steinbock)

 

 

 

 

 

Eine hohe Schneedecke vermittelt den Eindruck von weichen, runden Formen. Unebenheiten im Gelände werden sanft ausgeglichen und verschwinden mit zunehmendem Schneefall immer weiter.
So wirkt der Schnee gerade auch in höheren Lagen wie ein weiches, einhüllendes Kleid.

 

 

 

Gerade in der winterlichen Dämmerung nehmen wir das Einkleidende des Schnees besonders wahr. Ohne ihn würden die einzelnen Konturen schneller verschwinden, und es wäre länger dunkel.

 

 

 

 

Die Helligkeit in der heranbrechenden Nacht lässt vielleicht ein anheimelndes Gefühl aufkommen.

Selbst nachts wird es mit dem Weiß des Schnees nicht vollständig dunkel. So bleibt das Licht in den kurzen, sonne- und wärmearmen Winter­tagen auf diese Weise etwas erhalten.

 

 

2. Teil der Übung: Zeitraum der ruhigen Konzentration

In einem zweiten Teil der Übung können wir folgende Konzentration ausführen: Stellen wir uns für wenige Minuten eine möglichst naturnahe Landschaft in Nord- bzw. Mitteleuropa vor; ohne Verbauungen oder landwirtschaftliche Nutzung.
Stellen wir uns diese Landschaft vor dem inneren Auge nacheinander mit zwei unterschiedlichen winterlichen Szenarien vor:
– einmal während Frost, ohne Schnee
– einmal während Frost, mit einer hohen Schneedecke.
Nehmen Sie den Ausgangsgedanken hinzu, dass der Schnee ein Sinnbild für Wärme darstellt. Erinnern Sie sich nur an diesen Gedanken, beobachten Sie ihn, als würde er geschrieben vor Ihnen stehen. Achten Sie darauf, dass Sie nicht ins Rätseln verfallen.
Für diesen zweiten Teil sind wiederum einige Minuten Zeit erforderlich. Die Übung kann im Sitzen oder im Stehen ausgeführt werden. Für die Aufmerksamkeit ist es hilfreich, den Rücken aufrecht zu halten. Die Augen können offen oder geschlossen sein. Halten wir jede der beiden Situationen für ca. fünf Minuten in der Vorstellung, und beobachten auch das jeweilige Erleben.

Führen wir eine solche Übung über einen Zeitraum wiederholt aus, z.B. in einem Wechsel von drei aufeinanderfolgenden Tagen und anschließender Pause, wird sich über Wochen so mancher Eindruck einstellen, wie der Schnee den Winter verändert. Vielleicht erleben wir den Schnee in den kalten, lichtarmen Wintertagen zunehmend auch als eine Art Geschenk und weniger als Hindernis im Alltag.

Originaltext : Der Schnee als wärmender Mantel

Heinz Grill, ein ganzheitlicher Forscher der Gegenwart, schreibt zu der Ergründung einer Naturerscheinung im Allgemeinen und anhand des Beispiels Schnee folgendermaßen :
.. Je tiefer die Erscheinungen der Naturschöpfung in das Bewusstsein rücken, um so mehr wird sich der Übende bewusst, dass alles Sichtbare eine gewisse Widerspiegelung oder manchmal Umkehrung von dem ist, was einstmals im Geistigen war….Wir sehen selbst die Welt spiegelverkehrt …. Wenn wir die Ursache im Geiste, die dem Phänomen des Schnees zugrunde liegt, suchen wollen, so dürfen wir nicht davon ausgehen, dass wir sie direkt über die Beobachtung der Stoffeswelt finden. Eine längere Reihe von weiteren Beobachtungen und Gedanken sind notwendig, damit sich das Bewusstsein in ein empfangendes und ruhiges Verhältnis zu der Antwort geben kann. Die Antwort über das wirkliche Bild, das dem Schnee zugrunde liegt, kann durch das eigene Innere letztendlich nicht erfolgen. So können wir uns als Übende nur in eine klare Einordnung und in tiefere und präzisere Gedanken hineinbegeben, damit wir einmal über die ausgeprägte Ruhe und Schärfe der Gedankenbildung das geistige Ergebnis erahnen und im Bewusstsein selbst empfangen lernen. Der Schnee trägt eigentümlicherweise das Sinnbild der Wärme. Der Schnee offenbart mit seiner Impression ganz tief den Charakter der Wärme. Seine Erscheinung ist der Ausdruck der Wärme. Der Schnee ist Wärme.
An diesem Beispiel sehen wir deutlich, wie ein schnellfertiges Urteil, das aus den oberflächlichen, ersten Gefühlen entstehen könnte und das mehr den äußeren, nervlichen Wahrnehmungen entspräche, den Schnee als die Region der Kälte bezeichnen würde. Hier aber zeigt sich bereits die erste eigenartige Umkehrung, die vom Geist zur Materie besteht. Die Kälte ist nur die sensible Nervenreaktion, die der Mensch in sich spürt, wenn er auf Schnee stößt und Schnee in den Händen hält. Vorerst ist das Gefühl eine Kälteempfindung und somit ein Frösteln. Die tieferen Gedanken aber zeigen bereits in die Richtung der Antwort, die sich über längere Zeit der Kontemplation immer besser und klarer herausformen wird.
Dazu sind folgende Bilder und Überlegungen wichtig: Während der Winterzeit ruht die Erde mehr in stiller Verlassenheit gegenüber den kosmischen Welten. Das Licht zieht sich weit zurück, und mit dem Licht ziehen sich die Wärmeeinflüsse der Sonne zurück. Während dieser sonnenarmen Wintertage neigt die Erde nahezu zu einem Erstarren. Dieses Erstarren ist aber nicht wirklich der Fall, denn wenn die Winterwolken aufziehen, so schüttet sich eine neue Materie aus. Diese Materie ist der Schnee. Sie gibt einen Schutzmantel für die Erde und sie kleidet die Berge wie auch die Landschaften in ein weiches Kleid. Der Schnee ist die Antwort auf den Rückzug der Sonne, und so ist der Schnee das Bild der Wärme, das dem Menschen und der Erde gegeben wird. Es ist dies wie ein feiner Ausgleich, eine Art Gnadengabe für die kalte und starre Zeit des Winters. Tatsächlich wird jener, der ein feinfühliges Herz besitzt, den Schnee als eine Gabe empfinden und sich an ihm erfreuen. Er wird die Gabe der Wärme empfinden, die die Schöpfung ausschüttet. ….
( Auszug aus dem Buch von Heinz Grill Der Archai und der Weg in die Berge – Eine spirituell praktische Anleitung in der Ergründung der Wesensnatur des Berges, S. 30 ff., Lammers-Koll-Verlag, 2. Auflage 2002).

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